Schritte zu einer begabungsfreundlichen Schule

In den letzten Wochen hatte ich sehr verschiedene Erlebnisse mit Schulen: In einer Schule wurde zusätzlicher Englisch-Unterricht in der Mittelstufe von einem externen Anbieter für einen hohen Eurobetrag beworben – Dies sei ein lohnende Investition, da es wichtig sei, dass die Kinder in der heutigen Welt ein gutes Englisch sprechen lernen. Ich frage mich dabei aber, was das Ziel des schulischen Englischunterrichts ist. Dieses „externe Angebot“ klingt für mich nach einer Bankrott-Erklärung des Regelschulsystems.

Gleichzeitig durfte ich engagierte Pädagoginnen und Pädagogen – ebenfalls an einer Regelschule – kennenlernen, die Neues wagen und in ihren Klassen mithilfe des Churer Modells, den Kindern mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmung im Lernen ermöglichen. Grundlage ist ein Zutrauen in die Lernfreude der Kinder und ein Abschied von alten Konzepten von Schule und Unterricht. Durch eine verkürzte Inputphase bleibt den Kinder viel mehr Möglichkeit den Inhalt in einer selbstgewählten Arbeitsform (Einzel- oder Gruppenarbeit) in unterschiedlichen Differenzierungsgraden zu vertiefen.

Bildquelle: Jean Guérin auf flickr, Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0

Das Bild der kleinen Segelboote im Schlepp des Motorbootes steht für mich für die Schule alter Prägung: Die Lehrkraft vorneweg, die Kinder werden mitgezogen oder auch „durchgeschleppt“. Es kostet die Lehrkraft unglaublich Kraft und Energie. Der Freiraum der Kinder ist sehr begrenzt – Eigenverantwortlichkeit und Selbstwirksamkeit können sich darin nicht entwickeln. Und das obwohl alle Kinder ihre eigenen Antriebe – die Segel – mit dabei haben, die hier aber eher bremsen.

Das Schlüsselwort für das Lernen im 21. Jahrhundert heißt „Partizipation“

Reto Thöny

Wie anders schaut die Situation aus, wenn die Kinder „von der Leine gelassen werden“:

Bildquelle: pxhere.com, Lizenz: CC0 Public domain

Kompetente Kinder, die ihre Entwicklung selbst aktiv voranbringen und die Welt eigenständig erforschen. Dabei dient die pädagogische Fachkraft als Begleiter des Lernprozesses und als Forschender.

Eigener Antrieb, Individualisierung und Binnendifferenzierung sind die Schlüsselbegriffe dazu. Mit diesen Schritten kann Schule in einen Lernort umgewandelt werden. In diesem Konzept hat Begabungsförderung einen ganz selbstverständlichen Platz. Ich wünsche mir viele mutige Pädagoginnen und Pädagogen, die sich trauen, diesen Schritt zu gehen.

Wie Lernen gelingen kann.

In vielen Beiträgen höre ich derzeit immer öfter von Streichungen im Schulalltag (Wahlfächer, Klassenfahrten,…), LehrerInnenmangel, Ausfällen und Notlösungen. Schule wird immer mehr auf Pauken und Abfragen reduziert. Ein Rückschritt ins 19. Jahrhundert.

Es wird immer mehr spürbar, dass unser Bildungssystem in seiner derzeitigen Form gerade zusammenbricht und alle Beteiligten – SchülerInnen und LehrerInnen – massiv darunter leiden oder gar zerbrechen.

Alemannenschule Wutöschingen (GMS) Weißes Haus
Innenbereich Weißes Haus der Alemannenschule (Gemeinschaftsschule) in Wutöschingen im Landkreis Waldshut in Baden-Württemberg. Aufnahme: Gerhard Schuhmacher, veröffentlicht unter CreativeCommons Licence, Attribution-ShareAlike

Es braucht dringend neue Gegenentwürfe: Die Alemannenschule in Wutöschingen (Baden-Württemberg) zeigt, wie zeitgemäße Bildung im 21. Jahrhundert aussehen muss. Seit vielen Jahren wird dort bereits die Zukunft der Schule gelebt – inzwischen auch gut dokumentiert, untersucht und weltweit anerkannt,

Hier ein Eindruck vom Lernen in der Alemannenschule:

https://asw-wutoeschingen.de/onewebmedia/Ein%20Lernvirus%20aus%20WutA%CC%83%C2%B6schingen.mp4?etag=%229ed1624-64f83253%22&sourceContentType=video%2Fmp4#t=0.001

Nochmals zum sich bewusst machen:

Dies ist eine staatliche Gemeinschaftsschule! Sie arbeitet (selbstverständlich) nach dem Lehrplan und reizt die Möglichkeiten, die sich im Schulgesetz ergeben voll aus! Und sie zeigt, was alles gehen kann!

Interesse geweckt? Im Internet finden sich zahlreiche lesens- und nachdenkenswerte Artikel zur Alemannenschule zum weiterlesen.

Begabungsförderung – Good practice

Was an Grundschulen an Begabungsförderung möglich ist, zeigt der folgende Videobeitrag der Karg Stiftung. Manchmal braucht es nur einen kleinen Funken, um ein großes Feuerwerk zu entfachen…

Quelle:
Miceli, Nicole; Kiso, Carolin (2023): Good Practice – Begabungsförderung und Begabungsgerechtigkeit an der Grundschule Lankow. Frankfurt: Karg-Stiftung. https://www.fachportal-hochbegabung.de/oid/10119/ (Abrufdatum: 27.02.2023; 16:45 Uhr)

Zu intelligent, um glücklich zu sein?

„Zu intelligent, um glücklich zu sein?“

Jeanne Siaud-Facchin

Viele Menschen haben besondere Begabungen und Fähigkeiten – aber wird das immer als Bereicherung erlebt? Nicht selten überfordern sie sich selbst und geraten in soziale Außenseiterrollen.

Die französische Psychologin Jeanne Siaud-Facchin erklärt, wie sie selbstbewusst und glücklich mit ihrem Talent umgehen. Die Expertin auf dem Gebiet der Hochbegabtenforschung ist Autorin mehrerer Bücher zu dem Thema und Gründerin des unabhängigen Cogito’Z-Instituts, das sich mit Lernforschung bei Kindern und Jugendlichen beschäftigt.

Verlag Penguin Random House

Hochbegabte Kinder klug begleiten

„Hochbegabte Kinder klug begleiten“

Dietrich Arnold, Franzis Preckel

Hochbegabte Kinder sind ein Grund zur Freude. Dennoch kann der Wunsch nach einer gelungenen Erziehung und optimalen Förderung bei Müttern und Vätern zu Verunsicherung und auch Überforderung führen. Dieses Handbuch unterstützt Eltern bei typischen Fragen und Problemen. Es beruht auf dem erfolgreichen KLIKK-Training für Eltern mit klugen Kindern (Kommunikations- und Lösungsstrategien für die Interaktion mit klugen Kindern).

Begabte Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf angemessene, ihren Lern- und Leistungserwartungen gemäße individuelle Förderung. Um das zu gewährleisten, müssen Eltern, Erzieherinnen und Lehrkräfte hohe Begabung erkennen und entsprechend qualifiziert werden. Anhand der Erfahrungen aus seiner Beratungspraxis gibt das Autorenduo, gestützt von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, Anregungen für ein konstruktives und gelassenes Miteinander im Familienalltag. Die Autoren stärken die Eltern als Lernbegleiter und Spezialisten für die besondere Situation der Kinder und vermitteln Eltern und Kindern Selbstbewusstsein und ein gutes Selbstwertgefühl.

Beltz Verlag

Ressourcenorientierte Hochbegabtenberatung

„Ressourcenorientierte Hochbegabtenberatung“

Dietrich Arnold, Iris Großgasteiger

Hochbegabtenberatung ist nicht nur ein Fall für spezialisierte Beratungsstellen. Sie kann auch in vielen anderen Beratungssituationen oder im pädagogischen Alltag erfolgen. Dieses praxisorientierte Einführungsbuch zeigt, wie dies mit dem Ansatz der ressourcenorientierten Beratung gelingen kann. Neben der Einführung in die Themenfelder Hochbegabung und ressourcenorientierte Beratung finden sich viele praktische Anregungen für eine Beratungspraxis, die hilft, die Ressourcen der Ratsuchenden zu aktivieren. Fallbeispiele helfen zusätzlich bei der Umsetzung in die Praxis. Das Buch gibt Antworten auf die Fragen:

  • Wie gelingt der Aufbau einer beraterischen Beziehung?
  • Warum suchen Familien mit hochbegabten Kindern Beratung?
  • Wie können die Inhalte des lösungs-ressourcenorientierten Ansatzes für die Hochbegabtenberatung genutzt werden?

Beltz Verlag

Gedanken zum Begriff ‚Hochbegabt‘

„Es ist eine schwierige Zeit, ein hochbegabtes Kind zu erziehen, zu unterrichten oder zu sein. Da der Begriff ‚hochbegabt‘ und die ungewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten, auf die sich dieser Begriff bezieht, politisch immer unkorrekter werden, ändern die Bildungseinrichtungen ihre Terminologie und ihren Schwerpunkt.

Begabung, eine globale, integrative geistige Fähigkeit, kann abgetan und durch fragmentierte ‚Talente‘ ersetzt werden, die weniger bedrohlich und für die Schulen theoretisch leichter zu handhaben scheinen.

Anstelle einer inneren Enwicklungsrealität, die sich auf alle Aspekte des Lebens eines Kindes auswirkt, wird ‚intellektuelle Begabung‘ mehr und mehr als Synonym für (und beschränkt auf) akademische Leistungen wahrgenommen.

Das Kind, das in der Schule gut abschneidet, gute Noten erhält, Preise gewinnt und über die für sein Alter geltenden Normen hinausgeht, gilt als begabt. Das Kind, das dies nicht tut, unabhängig von seinen intellektuellen Fähigkeiten oder seinem Entwicklungsstand, wird immer seltener erkannt, und es wird immer seltener gefördert.“

Martina Rosenboom (DGhK) in Labyrinth 151, Dezember 2022